Offener Brief

Am 14. Dezember 2023 betraten um 3:30 Uhr vier Polizeibeamte in Stuttgart das Zimmer eines geflüchteten lesbischen Paares, beide 31 Jahre alt. Zwei zusätzliche Beamte hatten sich vor der Türe positioniert. Beide Frauen schliefen. Die Beamten riefen den Namen einer der Frauen und erklärten, dass sie nun diese, und nur diese, nach Finnland bringen würden. Daraufhin erklärte die Partnerin entsetzt, dass sie ebenfalls mitmüsse. Beide Frauen versuchten nun, die Polizeibeamten davon zu überzeugen, dass sie sich nicht der Ausreise verweigerten, dies aber nur gemeinsam ginge. Auch der Vorschlag, sie würden freiwillig ins Gefängnis gehen, bis eine gemeinsame Ausreise möglich wäre, hatte keinen Erfolg. Die Frau, die abgeschoben werden sollte, sie wiegt 51 kg, geriet so in Panik, dass sie nur noch zitterte und handlungsunfähig auf der Bettkante saß. Ihre Partnerin bat um einen Arzt, der verweigert wurde. Sie sah schließlich die letzte Rettung in einer Selbstverletzung, griff zu einem kleinen Brotmesser und versuchte, sich in die Arme zu schneiden. Daraufhin wurde sie von mehreren Polizeibeamten ent“waffnet“, auf den Boden gezwungen und in Handschellen gelegt. Die Partnerin, die dieses Vorgehen mitanschauen musste, erhob sich mühsam vom Bett. Sofort packte eine Beamtin sie und legte sie ebenfalls in Handschellen. Ihr wurden dann die Handschellen abgenommen, damit sie einen Kapuzenpullover und eine Hose über ihr Nachthemd anziehen konnte. Da sie psychisch nicht in der Lage war einen Koffer zu packen, wurden von der Beamtin einige Kleidungsstücke aus dem Schrank in einen Rucksack gepackt. Ohne Jacke verbrachten Beamte sie ins Auto und auf ein Revier. Nach einem Gang dort zur Toilette ohne Handschellen wurde ihr ein Gürtel angelegt. An diesen wurden ihre Hände mit Handschellen verbunden. Bis zum Frankfurter Flughafen blieb die Frau in Handschellen. 

Die Partnerin wurde von der Polizei in kurzer Schlafanzughose, mit Flip-Flops, immerhin einer übergeworfenen Jacke, in Handschellen in die Psychiatrie nach Stuttgart gebracht. Dort erreichte sie um 5.45 ein Anruf ihrer Partnerin. Um 11:30 rief eine Beamtin bei ihr an, um ihr mitzuteilen, dass sie am 18. Dezember um 12 Uhr nach Finnland abgeschoben werden würde. Der Frau, die abgeschoben wurde, nahm man auf dem Flug das Handy wieder ab.

Am 18. Dezember kamen um 3 Uhr morgens vier Polizeibeamte in das Zimmer der verbliebenen Frau. Diese schlief um diese Zeit. Neben ihrem Bett standen zwei gepackte Koffer – der Partnerin in Finnland fehlte ihre Kleidung ja immer noch-, ein Rucksack und eine Tasche. Es begann dann eine Befragung über das Vorhandensein eines Messers in dem Zimmer. Die Frau musste alle Koffer und Taschen öffnen. Die Inhalte wurden von einem Beamten auf das Doppelbett geschmissen und untersucht. Dabei machte er sich über den Inhalt in unterschiedlicher Weise lustig. Das Ganze gipfelte in der Aussage, dass Dinge von „unserem Geld“ gekauft worden seien. Die Frau durfte dann in Eile nur einen Koffer packen. Ein Rucksack wurde ihr verweigert. Ich selbst war am Vorabend bei der jungen Frau. Ich habe ihre gepackten Sachen gesehen. Und ich war am nächsten Mittag in dem Zimmer, in dem auf dem Bett ein völliges Chaos an Sachen lag. 

Im Auto, auf der Fahrt nach Frankfurt, konnten wir 35 Minuten lang Nachrichten austauschen, dann wurde auch ihr das Handy abgenommen. Sie erhielt es im Flugzeug vor dem Start wieder. 

Als sie das Flugzeug in Frankfurt betrat, fragte sie eine Beamtin, warum sie zwei Jacken habe. Sie antwortete, dass die Zweite für ihre Partnerin sei, die vor 4 Tagen nach Finnland gereist sei. Daraufhin erklärte die Beamtin ihr, dass diese keine Jacke gehabt hätte, weil sie – die jetzt abgeschoben wurde – das Messer hatte.

Von Anbeginn ihres Asylbegehrens in Deutschland, äußerten die beiden Frauen sehr deutlich, dass sie seit 6 Jahren ein Paar sind. Sie lebten bereits im Iran zusammen in einer Wohnung. Sie mussten ihr Land verlassen, da ihre Beziehung bekannt geworden war. Im Iran bedeutet dies, Gefängnis und die Todesstrafe, die auch in den letzten Jahren vollzogen worden ist.

Das BAMF war über den Sachverhalt der Partnerschaft informiert. In der Anhörung einer der beiden Frauen wurde diese 2x gefragt, ob sie verlobt wären. Sind anhörende Kräfte, vor allem Sonderbeauftragte für geschlechtsspezifisch Verfolgte, nicht darüber informiert, dass dies im Iran nicht möglich ist, außer man möchte ins Gefängnis? Beide Frauen hatten unterschiedliche Anhörungstermine. Die eine hatte bereits ihre Dublin Ablehnung, bevor die andere überhaupt ihre Anhörung hatte. Das Verwaltungsgericht traf eine gemeinsame Entscheidung zu den unterschiedlichen Eilanträgen.

Ich stehe fassungslos vor einem deutschen Rechtssystem, in dem gleichgeschlechtliche Partnerschaften auch ohne Eheschließung mittlerweile anerkannt sind, dies für gemeinsam geflüchtete Paare aber nicht gilt. Es ist doch sicher der Fachkompetenz einer Behörde möglich, zu klären, ob eine Partnerschaft vorliegt.

Wissen oder wollen diese Behörden nicht wissen, welche psychischen bis hin zu psycho-somatischen Auswirkungen es haben kann, wenn Partner*innen unter den gegebenen Bedingungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten abgeschoben werden? 

Um den Sachverhalt nochmals zusammenfassend darzustellen:

Zwei Frauen, die 6 Jahre eine Partnerschaft, teilweise in einer gemeinsamen Wohnung leben, flüchten nach Deutschland, um dem Gefängnis und Tod zu entgehen und in unserem rechtsstaatlichen Land wird darauf in der Unterbringung, Betreuung und Beratung Rücksicht genommen, nicht aber im Asyl- und Abschiebeverfahren? Ist es für die zuständigen Behörden nicht möglich, den beiden Frauen ein gemeinsames Verfahren zu ermöglichen, sowie gleichzeitig nach Finnland abzuschieben, wo doch täglich mindestens 2 Lufthansa Maschinen vom Frankfurter Flughafen starten, sogar an Weihnachten?

Tief erschüttert in meinem Glauben an die Grundwerte unseres deutschen Rechtssystems bin ich allerding über die Umstände der Durchführung dieser Abschiebung, die nach meiner Rücksprache mit Kolleg*innen kein Einzelfall ist.

Artikel 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland

„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ 

Als deutsche Staatsbürgerin erwarte ich, dass ausführende Organe unseres Rechtsstaates sich an die Grundlage unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung – das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland halten. Sowie vorgesetzte Stellen dafür Sorge tragen, dass ihnen unterstellte Personen, die Maßnahmen ausführen, ausreichend darauf sensibilisiert und geschult sind, um die Würde des Menschen – die selbstverständlich auch für geflüchtete Menschen gilt – zu achten und zu schützen. Außerdem Qualitätsstandards entwickeln, um Verstöße zu erkennen, zu verfolgen und Abläufe zu verbessern.

Gibt es Dienstanweisungen, welche Aspekte im Abschiebungsprozess zu beachten und einzuhalten sind?

Artikel 2, Satz 2 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland

„Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In dieses Recht darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.“

Welches deutsche Gesetz gibt der Polizei das Recht, eine 51 kg „schwere“ Frau ohne Jacke, nur mit Ersatzkleidung, die in einen Handrucksack passt, mitten im Winter nach Finnland abzuschieben? Ist es für die verantwortlichen Behörden nicht nachvollziehbar, dass Menschen, denen man um 4 Uhr morgens ankündigt, dass sie Deutschland verlassen müssen, in einen emotionalen Ausnahmezustand kommen können? Werden Polizeibeamte nicht darauf vorbereitet, wie sie Geflüchtete eventuell dabei unterstützen können, alles Notwendige in einen Koffer und einen Rucksack zu packen? Diese Menschen müssen alles in Deutschland aufgeben und können noch nicht mal ihre Wertgegenstände und Kleidung mitnehmen? Fällt sechs anwesenden Beamten nicht auf, dass es der körperlichen Unversehrtheit eines Menschen schaden kann, ohne Jacke und nur dürftig bekleidet im Winter das Haus zu verlassen? Ich hoffe für jeden Geflüchteten, dass dieser einen Koffer besitzt und diesen dann auch packen kann. Und ich möchte jeden Verantwortlichen anregen, sich einmal Gedanken darüber zu machen, was diese*r an eigenem Notwendigen in einen Koffer und einen Rucksack Leben packen kann – morgens um 4, innerhalb einer knappen Stunde!

Sicher war der Einsatz eines Messers eine Gefahrensituation und durch die Beamten zu unterbinden. Was hindert diese Beamten allerdings daran – immer noch im Winter – dafür zu sorgen, dass die Frau mit ausreichender Kleidung das Zimmer verlässt bzw. diese bei sich hat? Warum werden ihre Sachen vier Tage später mit entwürdigenden Kommentaren durchsucht und ihr der Rucksack verweigert? Ich gehe davon aus, dass Polizeibeamte so gut geschult sind, dass sie ein Messer auffinden können.

Mit welchem Recht wurden die Handys abgenommen? Dafür ist ein richterlicher Beschluss notwendig. 

Was in unserem Rechtssystem läuft schief, dass in verschiedenen Behörden Mitarbeitende geltendes Deutsches Rechts bis hin zu Grundrechten ohne Konsequenzen und straffrei missachten dürfen? 

Wenn z.B. Anhörende Geflüchtete auffordern, im Asylverfahren auf Botschaften zu gehen, um einen Pass zu besorgen. Dies ist im Asylverfahren nicht erlaubt, da die Botschaft fremdes Staatsgebiet ist, vor dem diese Menschen flüchten und dies im Asylverfahren geprüft werden muss.

Wenn z.B. Anhörende Geflüchtete zu den Umständen ihrer Gefangenschaft oder sogar Folter immer und immer wieder befragen, obwohl selbst für einen begleitenden Laien erkennbar ist, dass dies die geflüchtete Person an den Rand der psychischen Belastbarkeit bringt, bis hin zu psychischen Anfällen, wie Schwindel und Ohnmacht und sogar Dissoziation.

Wenn z.B. Familien mit kleinen Kindern als unbeteiligte Dritte durch solch rüde Abschiebepraktiken wie oben beschrieben weiter traumatisiert werden – weil sie vor und während ihrer Flucht nicht schon genug davon hatten… In den hiesigen Unterkünften bleibt eine solche Aktion nicht ungehört und ungesehen von anderen und kann nachhaltige psychische Schäden hervorrufen. Gefahr abwenden von Leib und Leben?

Welche Haltung hat sich auf Grundlage politischer und medialer Diskussionen gegenüber geflüchteten Menschen gebildet, dass diese als Menschen nicht mehr wertgeschätzt werden?

Unabhängig von der völlig unannehmbaren Weise der Abschiebung wie oben geschildert, sprechen wir hier von zwei gebildeten Frauen, die Masterabschlüsse und qualifizierte Berufe haben. Die im Iran ihren Lebensunterhalt eigenständig gut finanzieren konnten. Die ihr Land, ihre Wohnung, ihre Arbeit, ihre Freunde nie verlassen hätten, wenn sie dafür nicht ihre Beziehung aufgeben bzw. dafür ins Gefängnis hätten gehen müssen. Woher weiß der Polizeibeamte, dass die Sachen von „seinem“ und nicht von deren Geld bezahlt wurden. Komme ich als Steuerzahlerin nicht auch für Uniform und vieles mehr unserer „Staatsdiener“ auf?

Ich erwarte, dass die Verantwortlichen sich für ihr unangemessenes und diskriminierendes Verhalten bei den beiden Frauen entschuldigen.

So geht man nicht mit Menschen um! So geht man niemals mit Menschen um!

Danielle Gehr
Weissenburg e.V. – Regenbogen.Refugium