Der Liebe wegen
– die queere Erinnerungs- und Menschenrechtsarbeit des Weissenburg e.V.

Foto: Andreas Kaier, Landtagspressestelle
Aufarbeitung und Sichtbarmachung des Leids queerer NS-Opfer
Noch in den fünfziger Jahren brüstete sich die im Gebäude “Hotel Silber“ am Stuttgarter Karlsplatz ansässige städtische Kriminalpolizei, „zum Schrecken der Homosexuellen Stuttgarts“ geworden zu sein.1 Und noch 2010 musste die damalige Landesregierung einräumen, dass es in Baden-Württemberg „bisher keine systematische Aufarbeitung und dauerhafte Darstellung des NS-Unrechts an homosexuellen Menschen“ gibt.2 Um dem entgegenzuwirken engagiert sich der Weissenburg e.V. seit 2009, zunächst als „Rosa-Winkel-Initiative“ und seit 2017 auch mit dem Projekt „Der-Liebe-wegen“, für die Aufarbeitung und Darstellung der Ausgrenzungs- und Verfolgungsgeschichte queerer Menschen in unserer Region mit besonderem Fokus auf die Zeit der NS-Diktatur.
Mit zahlreichen Aktivitäten wie Kundgebungen, Online- und Präsenz-Unterschriftensammlungen, Veröffentlichung von Publikationen und diversen Veranstaltungen konnten viele Veränderungen in Richtung Sichtbarkeit erreicht werden, was sich seit 2018 insbesondere in der Dauerausstellung im Erinnerungsort Hotel Silber oder in der seit 2024 überarbeiteten Gedenktafel zur Erinnerung an den NS-Terror der ehemaligen Kripoleitstelle Stuttgart im Hospitalviertel zeigt. Die Weissenburg unterstützte von Beginn an die Erhaltung des Hotel Silber als Gedenk- und Geschichtsort und war Gründungsmitglied der Initiative Hotel Silber e.V.
Chronologisches und Aktuelles
Diese unterschiedlichen Aktivitäten sind auf der Webseite „Der-Liebe-wegen – von Menschen im deutschen Südwesten, die wegen ihrer Liebe und Sexualität ausgegrenzt und verfolgt wurden“ unter der Rubrik „Erinnerungsarbeit & Menschenrechte“ in chronologischer Reihenfolge dargestellt. Hier ist auch Aktuelles zur Erinnerungskultur in Bezug auf queere Menschen zu finden. Zusätzlich informiert darüber das Facebook-Profil vom Projekt „Der-Liebe-wegen“ und dessen zwei bis drei Mal im Jahr erscheinenden Newsletter, für den Mensch sich hier anmelden kann.
Aktuelle Projekte des Weissenburg e.V.
- Projekt „Lesbische bzw. nicht-heteronormativ empfindende Frauen in Psychiatrien des deutschen Südwestens während der NS-Zeit“
Die im Auftrag des Vereins von der Historikerin Claudia Weinschenk M. A. geplante Buchveröffentlichung basiert auf den Ergebnissen des Forschungsprojektes zur Auffindbarkeit von lesbischen Frauen in der NS-Zeit in Psychiatrieakten. Ein erstes Zwischenergebnis ist auf der Webseite des Hotel Silber veröffentlicht. Weitere Informationen zum Projekt finden Sie hier. - Projekt „Der-Liebe-wegen.org“
2017 konnte mit Hilfe einer Projektfinanzierung des Ministeriums für Soziales und Integration Baden-Württemberg und der Initiative Hotel Silber e.V. in Kooperation mit Rosa Hilfe Freiburg e.V. das oben bereits genannte Internetprojekt „Der-Liebe-wegen.org“ veröffentlicht werden. Zusammen mit einem Exkurs über geschlechtliche Minderheiten wurde damit erstmals für Baden-Württemberg die Ausgrenzungs- und Verfolgungsgeschichte von gleichgeschlechtlich begehrenden Menschen detailliert dargestellt. Im Fokus stehen die in einer digitalen Gedenkkarte dargestellten 254 Einzelschicksale von Opfern der faschistischen Diktatur. Grundlage dafür sind die Ergebnisse jahrelanger Arbeit von den außeruniversitär Forschenden Werner Biggel, Ralf Bogen, Rainer Hoffschildt, William Schaefer und Claudia Weinschenk. 2018 ging an sie der vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst in Zusammenarbeit mit dem Ausschuss für Heimatpflege verliehene erste Preis für Heimatforschung Baden-Württemberg.
Zur Veröffentlichung der Seite finden sich zahlreiche Grußworte wie beispielsweise von Manne Lucha, seit 2016 Minister für Soziales und Integration in Baden-Württemberg, der zum Projekt schreibt: „Mit der Website „Der Liebe wegen“ wurde mithilfe zahlreicher Engagierter eine Plattform geschaffen, die den Opfern ein Gesicht und eine Stimme gibt. Die Seite stellt schonungslos dar, was mit den Menschen geschah, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung und ihrer geschlechtlichen Identität nicht in das nationalsozialistische Weltbild passten. Sie ist damit ein wertvoller Baustein bei der umfassenden Aufarbeitung dieser dunklen Vergangenheit. „Der Liebe wegen“ dient ebenso dem Gedenken an die Opfer wie auch als Mahnung gegen Hass, Menschenfeindlichkeit und Homo- und Transphobie. Dafür bin ich in diesen Zeiten besonders dankbar.“
Das Projekt „Der-Liebe-wegen“ arbeitet zusammen mit der Themengruppe Geschichte des Netzwerks LSBTTIQ Baden-Württemberg und dem Fachverband Homosexualität und Geschichte. - Projekt „Derliebewege.org“
Inspiriert von „Der Liebe wegen“ befasst sich ein weiteres Webseite-Projekt mit verschwundenen und historischen Orten der LSBTTIQ Community, in Stuttgart: www.derliebewege.org. Es ist ein Projekt des Weissenburg e.V. unter der Leitung des Künster*innen Kollektivs Polychrom, Lena Fritschle und Philine Pastenaci, gefördert durch dieLandeszentrale für politische Bildung. Die Website wurde im Frühjahr 2021 durch Thomas Leuthold umgestaltet, die durch eine Förderung des Fonds Soziokultur ermöglicht wurde.
Eine kleine Chronik der Highlights
- In 2024 hatte der Verein am Stolperstein für Käthe Loewenthal anlässlich des Gedenktages am 27. Januar eine Gedenkveranstaltung durchgeführt und während der CSD Kulturwoche eine Tagung im Hotel Silber mit dem Titel
„Religiös begründete Abwertungen als Nährboden von Hetze und Gewalt gegen queere Menschen in der NS- und Nachkriegszeit“. Kooperationspartner:innen waren neben der Abteilung für Chancengleichheit der Stadt Stuttgart und verschiedene LSBTIQA+-Vereine unter anderem die Initiative Lern- und Gedenkort Hotel Silber, das Haus der Geschichte Baden-Württemberg und die Stuttgarter Stolpersteininitiative. - In 2023 hatte der Verein sich an dem Podiumsgespräch „Vom langen Kampf um Anerkennung des Leids queerer NS-Opfer – Rück- und Ausblicke“ im Erinnerungsort Hotel Silber beteiligt. Albert Knoll, Archivar der KZ-Gedenkstätte Dachau, Autor von „Der Rosa-Winkel-Gedenkstein – Die Erinnerung an die Homosexuellen im KZ Dachau“
berichtete über den seit 1985 geführten Kampf um ein Gedenkzeichen für homosexuelle Häftlinge in der Gedenkstätte des KZ Dachau. Wiebke Haß und Irmes Schwager von der „Initiative Autonome feministische Frauen und Lesben aus Deutschland und Österreich“, informierten über den langen Weg für eine Gedenkkugel zur Erinnerung an lesbische Häftlinge in der Gedenkstätte des Frauenkonzentrationslagers Ravensbrück und Janka Kluge, Vorstand der dgti e. V. (Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität e. V) stellte Bestrebungen vor für ein Gedenkzeichen zur Sichtbarmachung des Leids, welches die NS-Diktatur Menschen mit einer geschlechtlichen Thematik zugefügt hat. - Am 24. Januar 2021 hat der Verein anlässlich des Gedenkens an die Opfer der NS-Diktatur eine virtuelle Buchbesprechung zu „Erinnern in Auschwitz – auch an sexuelle Minderheiten“ über die Schwierigkeiten des Gedenkens über homosexuelle Opfer des NS in der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau durchgeführt. Die Gäste waren Dr. Anna Hájková und Dr. Lutz van Dijk, moderiert von Ute Reisner und Joachim Stein. Die Veranstaltung ist auf unserem Youtube-Kanal dokumentiert.
- Der Verein war wesentlich für die Gestaltung der Gedenkstunde des Landtags von Baden-Württemberg für die homosexuellen Opfer des Nationalsozialismus am 25. Januar 2019 verantwortlich. Eine Aufzeichnung der Veranstaltung findet sich hier, in der Mediathek des Landtags Baden-Württemberg, die Broschüre zur Veranstaltung in der unter anderem das Grußwort von Joachim Stein, damals Mitglied des geschäftsführenden Vorstands, nachzulesen ist hier.

Konzept: Philine Pastenaci, Lena Fritschle, Heisam Abbas, Hannah Ebenau
Mit: Vava Vilde, Rachel Intervention und Jugendlichen der Initiativgruppe Homosexualität Stuttgart e.V
Foto: Andreas Kaier, Landtagspressestelle
- 4. und 5. Oktober 2019: Öffentliche Fachtagung zur vielfältigen LSBTTIQ-Geschichte: „Zukunft braucht Erinnerung“ des Fachverbands Homosexualität und Geschichte im deutschsprachigen Raum gemeinsam mit der Initiative Lern- und Gedenkort Hotel Silber.
- 2015 Mitorganisation beim Gedenken zu Beginn „Ausgegrenzt und totgeschwiegen: Verfolgung von gleichgeschlechtlich Liebenden“ des Deutschen Evangelischen Kirchentags in Stuttgart.
- 2013 Fachtagung „Stand und Perspektiven der Erforschung, Thematisierung und Darstellung der Situation von Lesben und Schwulen im Nationalsozialismus und in der Nachkriegszeit in Baden-Württemberg“, gemeinsam mit der Landeszentrale für politische Bildung.
- 2010 Ausstellung „Die NS-Verfolgung Homosexueller in Stuttgart sichtbar machen“ gemeinsam mit dem Stadtarchiv im Stuttgarter Rathaus.

Foto: Sven Tröndle
Forschungsarbeiten und -beiträge:
Folgende Forschungsarbeiten und -beiträge sind im Auftrag oder im Kontext mit den oben genannten Projekten des Weissenburg e.V. entstanden:
- „Stuttgarter Gedenktafel überarbeitet“ – Beitrag von Ralf Bogen veröffentlicht auf der Webseite des Fachverbands Homosexualität und Geschichte, 2024.
- „Auch fühlte ich mich immer mehr zu meinem Geschlecht hingezogen.“ Ein Forschungsprojekt zur Auffindbarkeit lesbischer Frauen in Psychiatrien während des Nationalsozialismus von Claudia Weinschenk. In: Invertito. Jahrbuch für die Geschichte der Homosexualitäten, Jahrgang 22 (2020): „Homosexualitäten im Südwesten Deutschlands“, Hamburg 2020: Männerschwarm Verlag
- „Der Liebe wegen ausgegrenzt und verfolgt: das Internetprojekt www.der-liebe-wegen.org“ von Ralf Bogen. In: „Späte Aufarbeitung: LSBTTIQ-Lebenswelten im deutschen Südwesten.“ Hrsg. von Martin Cüppers und Norman Domeier, Stuttgart 2018
- „Zum Schrecken der Homosexuellen Stuttgarts…“ von Ralf Bogen.In: Invertito. Jahrbuch für die Geschichte der Homosexualitäten, herausgegeben von Fachverband Homosexualität und Geschichte e.V., 17. Jahrgang (2015): „Verfolgung, Bewegung, Erinnerung“, Hamburg 2020: Männerschwarm Verlag
- „Ausgrenzung und Verfolgung homosexueller Männer in Württemberg“ von Ralf Bogen. In: Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg [Hrsg.]: Der Bürger im Staat Nr. 1-2015, Homophobie und Sexismus, Stuttgart 2015
- „Vorkämpfer im Kampfe um die Ausrottung der Homosexualität“ von Ralf Bogen in: Ingrid Bauz / Sigrid Brüggemann / Roland Maier [Hrsg.]: Die Geheime Staatspolizei in Württemberg und Hohenzollern, Stuttgart 2013
- „Ausgrenzung aus der Volksgemeinschaft – Homosexuellenverfolgung in der NS-Zeit“ – Schwulst Sonderheft 2010, ein Gemeinschaftsprojekt von Schwulst e.V. und Weissenburg e.V. mit Beiträgen von Ralf Bogen, Dieter Salwik, Mathias Strohbach und Thomas Ulmer, Stuttgart 2010
- „Verdrängt und ungesühnt – nationalsozialistischer Terror gegen Homosexuelle in und aus Stuttgart“ von Ralf Bogen und Joachim Stein. In: Initiative für einen Gedenkort im ehemaligen Hotel Silber (Hg.): Tatort Dorotheenstraße, Stuttgart 2009.
(1) und (2) zitiert nach „Ausgrenzung und Verfolgung homosexueller Männer in Württemberg“ von Ralf Bogen in: Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg [Hrsg.]: Der Bürger im Staat Nr. 1-2015, Homophobie und Sexismus, Stuttgart 2015