Vom Schmuddelkind zum social player – 25 Jahre Weissenburg – Zentrum LSBTTIQ Stuttgart

Am 3. Februar 1996 eröffnete das Café der Weissenburg, seither gilt dieses Datum als Geburtstag des LSBTTIQ Zentrums. Vorausgegangen waren viele Diskussionen, ob Stuttgart ein solches Zentrum benötigt und ob dieses wohl finanzierbar sei. 25 Jahre später ist die Einrichtung fest etabliert und hat sich zu einem kleinen Träger der sozialen Arbeit weiterentwickelt.

Der ursprüngliche Gründungsgedanke eines Kommunikations-, Emanzipations- und Kulturzentrums für Lesben und Schwule ist verwirklicht. Die Zielgruppen wurden 2016 erweitert auf bisexuelle, transgender, transsexuelle, intersexuelle und queere Menschen. Gedacht war an eine Einrichtung von jung bis alt. Heute beherbergt die Einrichtung 3 selbstorganisierte Jugendgruppen und bis zu 10 Erwachsenengruppen aller Altersstufen. Regelmäßig erreichen die Einrichtung Anfragen für weitere Gruppen, derzeit überwiegend aus dem noch etwas jungen bttiq-Spektrum.

Die Räume in der Weissenburgstraße 28A stehen auch für Kulturveranstaltungen aller Art zur Verfügung. Gern werden sie als Ort für Kunstaustellungen, Lesungen und Aufführungen genutzt. Junge Drag-Queens haben hier oft ihre ersten öffentlichen Auftritte, Künstler_innen der Community ihre ersten Ausstellungen.

Die Räume dienen als safe space dazu, mit Menschen derselben Orientierung oder geschlechtlichen Thematik zwanglos ins Gespräch zu kommen, sind zugleich Ort des Wissenstransfers und des persönlichen Ausprobierens. Gerade die Möglichkeit, unterschiedliche Altersgruppen zu bedienen, fördert den intergenerationellen Dialog und schafft Verständnis für die jeweilige Lebenssituation.

War es anfangs noch umstritten, Heimat für lsbttiq Menschen zu sein, hat sich der erste nichtkommerzielle Ort inzwischen als wichtige Anlaufstelle entwickelt. Berührungsängste der Mehrheitsgesellschaft, die zu Beginn der Einrichtung noch vorhanden waren, weichen inzwischen einem guten Miteinander. Die zentrale Lage ermöglicht es, die Räume auch tagsüber für Tagungen und Besprechungen zu nutzen.

2016 konnte in Kooperation mit dem Fetz e.V., die für die weibliche* Seite verantwortlich zeichnen, durch Beschluss des Gemeinderats erstmals eine Beratungsstelle für schwule, bisexuelle und queere Jungen* und Männer* eingerichtet werden. Weil die Räume in der Weißenburgstraße 28 A dafür nicht geeignet waren, gründete der Verein als Obermieter mit der IG CSD, dem Netzwerk LSBTTIQ Baden-Württemberg und dem SV Abseitz eine Bürogemeinschaft. Dort siedelte sich auch bereits 2016 das projektfinanzierte Unterstützungsprojekt für lsbttiq Geflüchtete an. 2020 wurde die Beratungsarbeit durch weitere finanzielle Mittel der Stadt ausgebaut. Weitere Räume für die Beratungsarbeit kamen hinzu. Neben der Beratung für sbq Jungen* und Männer* gibt es jetzt auch Beratung für Menschen aus den Bereichen transsexuell, transgender, intersexuell und nicht-binär.

Schon 2010 engagierte die Weissenburg sich auch im Bereich der Geschichtsforschung für lsbttiq. Mit Hilfe einer Projektfinanzierung konnte eine Webseite erstellt werden, die ca. 350 Opferschicksale überwiegend schwuler Männer aus Baden-Württemberg dokumentiert (www.der-liebe-wegen.org). Eine weitere Webseite befasst sich mit historischen Orten auch aber nicht nur der NS-Verfolgung in Stuttgart (www.derliebewege.de). Aktuell arbeitet eine Historikerin im Auftrag des Vereins an einer Dokumentation zur Auffindbarkeit von lesbischen Frauen in der NS-Zeit in Psychiatrieakten. Ein erstes Zwischenergebnis ist auf der Webseite des Hotels Silber veröffentlicht (http://hotel-silber.de/?p=4419). Der Verein war 2019 wesentlich für die Gestaltung des Gedenktags des Landtags von Baden-Württemberg für die homosexuellen Opfer des NS verantwortlich. Am 24. Januar hat der Verein eine virtuelle Buchbesprechung über die Schwierigkeiten des Gedenkens über homosexuelle Opfer des NS in der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau durchgeführt. Die Veranstaltung ist auf dem Youtube-Kanal des Vereins dokumentiert. (siehe hier: https://youtu.be/62aEy378b1U)

Aktuell arbeitet der Verein auch an einem Schulungskonzept, um Einrichtungen für Menschen mit körperlichen und geistigen Einschränkungen für die Zielgruppe LSBTTIQ zu sensibilisieren. Erste Ergebnisse sind Mitte des Jahres zu erwarten. Außerdem ist der Verein vom Gemeinderat damit beauftragt, eine Projektstudie für ein mögliches Regenbogenhaus in Stuttgart zu erstellen (www.regenbogenhaus-stuttgart.de). Die Projektkoordination erfolgt über die Gleichstellungsstelle der Stadt.

Unser Dank gilt der Landeshauptstadt Stuttgart, die dem Verein gegen Widerstände sowohl aus der Verwaltung als auch aus Teilen des Gemeinderats eine jährliche Förderung seit dem Jahr 2000 ermöglicht hat. Von bescheidenen 10.000 DM im Jahr hat sich die Finanzierung durch die Beratungs- und Projektarbeit auf aktuell knapp 180.000 € erhöht.

Die Einrichtung leidet gerade schwer unter dem Lockdown. Seit mehr als 3 Monaten ist das Café geschlossen. Treffen von Selbsthilfegruppen sind nicht mehr möglich. Menschen können sich nicht mehr durch Gespräche mit anderen Menschen ihre Sorgen und Nöte von der Seele reden. Ein Desaster für das safe space Konzept und für Menschen in ihrem Coming out. Die geplante Jubiläumsfeier muss deshalb auf unbestimmte Zeit verschoben werden. Der Dank des Vereins gilt allen ehrenamtlich engagierten Menschen, die uns jahrelang unterstützt haben.